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JEAN-LUC OLLIVIER
VISIONEN

 

„Visionen“ betitelt der Künstler seine Ausstellungen, denn seine Bilder zeigen seine „Vision“ der Realität – seine persönliche Interpretation der Wirklichkeit, in der wir leben. Mit großer Präzision und deutlich erkennbarer Liebe zum Detail setzt er diese in Szene. Dabei ist die Komposition der Bilder eher schlicht gehalten. Der Maler vermeidet es ganz bewusst, seine Bilder zu „überladen“, konzentriert sich lieber auf das Wesentliche, das er uns vor Augen führen möchte.

Schach-Trilogie
  Le choix  Le jeu  La dé:faite  

Ein für Ollivier’s „Visionen“ charakteristisches Werk – und zugleich sein „Aushängeschild“ – ist das Ölgemälde LE JEU, das Teil der „Schach-Trilogie“ (LE CHOIX, LE JEU, LA DEFAITE) ist. Der Künstler zeigt hier die Welt als Spielfeld, auf dem die Mächtigen bzw. die Spezies Mensch an sich – symbolisiert durch die Schachfiguren – das Spiel um die Herrschaft über die Erde (und gegen die Erde) austragen. Die Bilder-Trilogie zeigt den möglichen Verlauf dieses „Spiels“ und seine Folgen. LA DEFAITE sieht der Künstler dabei nicht als das Ende der Welt an, aber durchaus als eine vom Menschen selbst verursachte Zerstörung der menschlichen Zivilisation.
In zahlreichen weiteren Bildern (SOUFFRANCE, AMAZONIE, ERINNERUNG…) führt uns der Künstler vor Augen, was der Mensch mit der Erde macht, manchmal explizit wie in FRAGILITE, meist jedoch in seiner ihm eigenen, sinnbildlichen Ausdrucksweise.

Symbolik

Denn Jean-Luc Ollivier kleidet seine Gedanken gerne in Symbole, wobei er betont, dass auch das kleinste Element in seinen Bildern eine bestimmte Bedeutung hat. Sicher – manche Symbole sind leicht zu deuten, wie etwa die Heuschrecke in LE JEU. Dass Heuschrecken zu den Landplagen gehören, ist bereits aus dem Alten Testament bekannt.
Andere Bildelemente dagegen lassen einen größeren Spielraum für ihre Deutung zu. Dennoch lehnt es der Künstler ab, seine Werke bis ins letzte Detail zu erklären. Denn für ihn gibt es nicht nur eine „richtige“ Interpretation – vielmehr lädt er den Betrachter ein, zu seinem eigenen Verständnis, seiner eigenen Wahrheit zu finden. „Natürlich verfolge ich eine ganze bestimmte Idee, wenn ich ein Bild male, für mich hat es eine bestimmte Bedeutung. Wenn jemand anders mein Bild jedoch auf andere Weise versteht, so hat er deswegen nicht unrecht. Jeder sieht die Dinge auf seine Weise und entsprechend seiner persönlichen Weltanschauung. Ich finde es durchaus anregend, wenn ich andere Deutungen meiner Bilder höre.“
Besonders inspiriert fühlt sich der Maler von den sogenannten „Memento-mori-Symbolen“ aus dem 16. und 17. Jahrhundert, wie zum Beispiel Sanduhren oder erlöschende Kerzen. Diese Symbole wurden damals in einem religiösen Kontext verwendet, um mahnend an die Vergänglichkeit des irdischen Daseins zu erinnern.
Jean-Luc Ollivier benutzt derartige Symbole jedoch in einem anderen Zusammenhang, denn er stellt die Endlichkeit in Verbindung mit seinen bevorzugten Themen in den Vordergrund: die Beziehung der Menschen untereinander und zu ihrer Umwelt. Auch in abgewandelter Form sind einige Symbole zu sehen, zum Beispiel die leere Sanduhr in FLEURS DE L’AME: ABANDON oder die zerbrochene Sanduhr in FRAGILITE, die in dieser Form nun kein Mahnsymbol mehr sind, sondern bereits vollendete Tatsachen zum Ausdruck bringen.

Augen

Auffallend sind auch die vielen Augen, die uns aus Ollivier’s Bildern entgegensehen. Augen sind bekanntlich ein Symbol der Wahrnehmung und Erkenntnis.
Zwar kann das Auge alles sehen, aber oft muss es hilflos zusehen, ist stummer Zeuge dessen, was es wahrnimmt, fähig zu erkennen, aber nicht zu handeln.
In diesem Sinne kann das Auge auch den „Beobachter“ symbolisieren, d. h. den Menschen, der die umgebende Welt betrachtet, aber nicht als handelnde Person auftritt, passiv bleibt.
Des weiteren kann der entgegengesetzte Aspekt des „Beobachtet-Werdens“ durch das Auge dargestellt werden. Insbesondere Augen in größerer Anzahl, die den Betrachter eines Bildes „anstarren“ (VISION), können unangenehme Gefühle erzeugen, Aggressivität ausstrahlen.
So können Augen als Bildelement ganz unterschiedliche Zustände ausdrücken - Sie werden selbst die Wirkung spüren, die sie bei dem einen oder anderen Bild auf Sie ausüben.

Zahlen

Neben Bildsymbolen verwendet der Maler auch andere bedeutungsgeladene Elemente, zum Beispiel Zahlen. Regelmäßig findet sich beispielsweise die Zahl 314 in Ollivier’s Bildern wieder. Der Künstler erklärt dazu, dass es sich um eine sehr persönliche Zahl handle und Bilder mit dieser Zahl folglich Bilder seien, in denen er eigene Erfahrungen verarbeite.

Fleurs de l'âme
  Fleurs de l'âme : Marc  Fleurs de l'âme : Abandon  Fleurs de l'âme : Hassliebe  Fleurs de l'âme : Désespoir  Christine

Denn eine weitere wichtige Thematik seiner Bilder sind seelische und emotionale Zustände, Gefühle, zwischenmenschliche Beziehungen. Neben mehreren Einzelwerken (THIS IS THE END, HERITAGE, SOLITUDE…) ist auch die Reihe „Fleurs de l'âme“, zu deutsch „Seelenblumen“, repräsentativ für diesen Themenbereich. Jede Seelenblume hat einen Namen, der entweder einen Zustand (ABANDON, DESESPOIR, HASSLIEBE) bezeichnet oder eine Person (MARC, CHRISTINE). Die Blumen als Spiegel der Seele verkörpern diesen Zustand bzw. den seelischen Zustand dieser Personen aus der Sicht des Malers.
An Stelle des Blütenkopfes ist ein Auge zu sehen, das gewissermaßen den Blick der Seele nach außen ermöglicht. Die Blütenblätter verleihen der Seele eine materielle Form, in der sich ihr Zustand ausdrückt, während der wurzellose Stiel die Losgelöstheit der Seele unterstreicht.

Emotionen

Gerade in diesen Werken verarbeitet der Künstler, der sehr früh seine Eltern verloren hat und in einem Waisenhaus aufgewachsen ist, auch seine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen. Bilder wie SOLITUDE oder THIS IS THE END sprechen für sich, gehen unter die Haut. Der Künstler betrachtet diese Bilder als Momentaufnahmen, die eine bestimmte Lebensphase repräsentieren. Sie haben durchaus universellen Charakter, denn wer kann schon von sich sagen, dass er noch nie die Schattenseiten des Lebens kennen gelernt hat? Häufig zeigen die Reaktionen, dass sich viele Betrachter spontan mit den hier zum Ausdruck gebrachten Gefühlen identifizieren können oder mit diesen Bilder eigene Erfahrungen assoziieren. So wollen die Bilder auch dazu einladen, ihre Stimmung in sich aufzunehmen, einzutauchen in die allegorische Bildersprache, sich Zeit zu nehmen, sie zu entschlüsseln – jeder auf seine persönliche Weise.

Titel

Eine Hilfestellung gibt der jeweilige Titel, der die Thematik jedes Bildes mehr oder weniger klar umreißt, wobei er manchmal durchaus ironisch gemeint ist, wie bei LE JEU [DAS SPIEL]. Für den Künstler ist der Titel ein fester Bestandteil jedes Bildes, untrennbar mit ihm verbunden und genauso wichtig wie jedes kleine Detail im Bild.
Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass Jean-Luc Ollivier manche Titel in seiner Muttersprache Französisch verwendet, andere aber in Deutsch oder auch Englisch. Dazu meint der Künstler: „Für mich muss der Titel eines Bildes nicht nur inhaltlich stimmen, sondern auch der Klang des Wortes muss zu meinem Bild passen, zu den Gedanken, die ich ausdrücken will. Daher verwende ich verschiedene Sprachen, denn manchmal klingt zum Beispiel das deutsche Wort ‚richtig’ und das französische zu weich, ein anderes Mal klingt das deutsche Wort vielleicht zu nüchtern oder ist zu lang. Mitunter hat ein Wort in einer Sprache auch verschiedene Konnotationen, die es in der anderen Sprache nicht hat. Deshalb gehört der Titel, so wie ich ihn gewählt habe, zu einem Bild - ein Bild könnte nicht den gleichen Titel in einer anderen Sprache tragen.“

Atmosphäre

In jedem Fall aber zeigen auch die Titel, was beim Betrachten der Bilder sofort auffällt: es sind keine fröhlichen Bilder, vielmehr strahlen sie eine düstere Atmosphäre aus, die nachdenklich stimmt, traurig macht oder gar deprimiert.
Ollivier – ein profunder Pessimist? Gegen diese Interpretation wehrt sich der Künstler vehement: „Ich sehe meine Bilder nicht als pessimistisch an, ich versuche lediglich, die Realität ohne Beschönigung darzustellen. Im Gegensatz zu überzeugten Pessimisten glaube ich jedoch, dass es möglich ist, viele Dinge zu ändern, wenn wir nicht alles als gegeben hinnehmen. Dazu möchte ich auch mit meinen Bildern anregen.“

Es ist eine unbarmherzige Welt, die Jean-Luc Ollivier in seinen Bildern zeigt, und dennoch – seine Bilder wirken ästhetisch, sind voller Poesie, traurig und doch wunderschön.

 

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© Jean-Luc Ollivier 2006